Podcast vs. Radio – Die Kompression macht’s

In letzter Zeit wurde ich aus verschiedenen Quellen angestoßen, darüber nachzudenken, was denn eigentlich der Unterschied zwischen Podcasts und “herkömmlichem” Radio ist. Das habe ich nun getan und schreibe einige dieser Gedanken hier ins Netz rein.

Radio

Erstmal muss ich klarstellen, dass ich mit “Radio” das gesprochene Wort im Radio meine. Gummibunten Dudelfunk mit Morning-Shows und ähnlichen Scheußlichkeiten ertrage ich schon seit ein paar Jahren nicht mehr. Eingeschlafenen Kulturfunk, mit E-Musik unterbrochen von monoton vorgetragenen Ansagen habe ich noch nie ertragen.
Ich rede also von Radio, das das gesprochene Wort in den Mittelpunkt stellt, in der Regel zur Information/Bildung oder zur Unterhaltung.

Podcasts

Das selbe gilt im Prinzip auch für Podcasts. Auch hier spreche ich von Formaten, in denen im wesentlichen geredet wird. Ich begrüße zwar sehr, dass es Musikpodcasts gibt, die z.B. versuchen CC-lizensierter (und GEMA-freier) Musik zu mehr Verbreitung zu verhelfen, aber ich höre sie (bisher) nicht und kann deshalb nichts über sie sagen.

Nach dieser Engführung lassen sich Unterschiede auf verschiedenen Ebenen ausmachen:

1.  Übertragungstechnik

Die technischen Unterschiede, wie das gesprochene Wort ans Ohr transportiert wird mögen zu Beginn den großen Unterschied gemacht haben (Radio: UKW o.ä., Podcasts: über das Netz), diese Unterschiede lösen sich jedoch mehr und mehr in Luft auf. Immer mehr Sender streamen ihr Programm live ins Netz und bieten Mitschnitte zum Download an.
Also nicht mehr wirklich ein Unterschied.

2. Gleich- oder Nachzeitigkeit

Lange dachte ich, dass das der zentrale Unterschied sei: Radio ist live, Podcasts sind zum “zeitsouveränen Nachhören”.
Inzwischen bieten jedoch viele Radiosender (insbesondere die öffentliche Rechtlichen) ihre Mitschnitte zum Download an, und viele Podcasts streamen ihre ungeschnittene Rohfassung während der Aufnahme live ins Netz.
Auch dieser Unterschied erledigt sich also mehr und mehr.

3. Sendungsformat / Länge

Ein weiterer Unterschied der direkt auffällig wird, ist die Länge der jeweiligen Sendungsformate. Radiobeiträge sind in der Regel sehr kurz, Interviews dauern nur  wenige Minuten. Podcasts sind in der Regel ohne zeitliche Begrenzung, dauern eben so lange sie dauern. Insbesondere Gesprächs- oder Interviewpodcasts nehmen gerne epische Länge an. 1,5 – 2 Stunden halte ich für alles andere als ungewöhnlich, aber auch ausschweifendere Formate, die drei, vier oder gar sechs Stunden gehen wurden auch schon gesichtet. Und das wird von den Hörern durchaus auch als gut bewertet.
Ich persönlich habe das immer als Stärke der Podcasts empfunden. Denn diese starke zeitliche Begrenzung der Sendungsformate im Radio hat natürlich Auswirkung auf die Inhalte. Besonders dramatisch empfinde ich das, wenn über den politischen Diskurs berichtet werden soll. Da werden dann in einen dreiminütigen Beitrag Anmoderation, Einführung ins Thema, ein Kurzinterview mit einem Politiker und eine Abmoderation gepresst. So bleiben die Inhalte oberflächlich und phrasenhaft.
Deshalb höre ich Radiosendungen, die nicht ganz so kurz gehalten werden, am liebsten, z.B. “Hintergrund” auf Deutschlandradio (knapp 20 Minuten), oder das ARD-Radiofeature (knapp 1 Stunde).

4. Sendungsformat / Kompression

Die Länge (und die damit einhergehenden inhaltlichen Auswirkungen) sind aber nicht alles. Wenn ich mein eigenes Hörverhalten beobachte und vergleiche, wie ich mit Formaten aus der Radio- und der Podcast-Welt umgehe, fällt auf dass ich (auch zeitsouverän) solche Radiomitschnitte auf eine andere Weise höre oder empfinde als (in Ermangelung eines besseren Wortes) richtige Podcasts.
Manchmal empfinde ich die auf meinem MP3-Player angestauten Folgen von “Hintergrund” auf Deutschlandradio (knapp 20 Minuten) oder ARD-Radiofeature (knapp 1 Stunde) regelrecht als Belastung (“Oh je, das musst Du alles noch weghören.”) während ich Podcasts ähnlicher Größenordnungen z.B. “Logbuch Netzpolitik” oder “Hoaxilla” (jeweils ca. 45-60 Minuten) mit Freuden in meinem Podcatcher erblicke und direkt weghöre.
Das könnte zwar an unterschiedlich starkem Interesse am Thema und der Erscheinungshäufigkeit liegen, ich habe aber eine andere Hypothese.

Hypothese: Es liegt an der hohen inhaltlichen Kompression von Radioformaten.

Die sonstige Kürze von Radiosendungen macht es nötig, die Inhalte stark zu komprimieren, also in möglichst wenig Zeit möglichst viel Content unterzubringen.

Längere Radioformate haben zwar mehr Zeit, behalten aber die selbe Kompression bei und stecken entsprechend mehr Inhalt in die Sendung. Das bedeutet, dass man über einen relativ langen Zeitraum recht hohe Konzentration mitbringen muss.

Genau diese Kompression bringen Podcasts in der Regel nicht mit sich, sondern eher eine Atmosphäre lockeren Plauderns. Als ich anfing, Podcasts zu hören, habe ich das noch als Kinderkrankheit der Szene empfunden, als Zeichen mangelnder Professionalität. Damals habe ich mich auch noch gewundert, warum auch Medienprofis wie Philip Banse diesen Plauderton in ihren Podcasts aufrecht erhalten, anstatt in professioneller Ansprechhaltung ein getextetes Programm zu präsentieren.

Inzwischen halte ich es für eine große Stärke des Podcasts, weil es ermöglicht, sowohl (mit viel Zeit) tief und umfänglich ein Thema zu bearbeiten und trotzdem dem/r Zuhörer_in nicht zu viel Aufmerksamkeit und Konzentration abzuverlangen.

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