Der alte Korrelationen-Blues: IQ und Suizidgefährdung

Als ich den Titel dieses Artikels bei Brainmysteries las, klingelte bei mir sofort die Biologismus-Alarmglocke: Link identified between lower IQ scores and attempted suicide in men. Zu Deutsch sinngemäß: “Verbindung zwischen niedrigem IQ und Suizidversuchen bei Männern festgestellt.”

Nur kurz zur Erläuterung der Biologismus-Alarmglocke: Was dem Politiker und dem “Ich schreib viel aber ich denk wenig”-Journalisten der “billige Populismus” ist dem Behindertenpädagogen der Biologismus.

Da Brainmysteries gerne mal reißerisch und verkürzt berichtet, hab ich mir die zur Studie gehörende Veröffentlichung im British Medical Journal herausgesucht.
Worum geht’s?:
Bei einer Kohortenstudie wurden in Schweden von einem Team von Wissenschaftlern (Mediziner, Statistiker und ein Psychologe) angeführt von G David Batty, die medizinischen Daten von über einer Million Männern gesichtet, bei denen im jungen Erwachsenenalter der IQ gemessen wurde. Da hierfür bei einer so großen Stichprobe verschiedene IQ-Testverfahren verwendet wurden, standardisierten die Forscher die Ergebnisse dieser verschiedenen Messungen und wiesen so den Personen Punkte auf einer Skala von 1-9 zu. Je niedriger die Zahl, desto niedriger der IQ.

Was sie schlussendlich herausgefunden haben:
Ein niedriger IQ korreliert mit einer hohen Suizidgefährdung.

So ganz plump biologistisch waren die Batty und sein Team dann aber doch nicht. Sie haben sich nämlich erstmal auf die Suche nach unterschiedlichen Erklärungsmöglichkeiten für die Korrelation gemacht.

Zwei gänzlich undbiologistische, weil soziale Möglichkeiten sind ihnen eingefallen:

  • Niedriger IQ korreliert auch mit niedrigem Einkommen und niedrigem sozialen Status. Vielleicht treffen die Personen mit niedrigem IQ in ihrem Leben auf mehr Widrigkeiten und existenzielle Bedrohungen, die sie zur Verzweiflung treiben
  • Niedriger IQ korreliert auch mit hohem Alkoholkonsum, welcher wiederum verschiedentlich unabhängig von dieser Studie als Ursache für suizidale Tendenzen ausgemacht wurde

Sie gestehen diesen beiden Faktoren auch eine gewisse Rolle beim herbeiführen von Suizidversuchen zu, glauben aber, dass noch mehr Faktoren eine Rolle spielen müssen:

In our analyses, adjustment for socioeconomic status, smoking, and risky alcohol use led to small degrees of attenuation, suggesting that these factors may partially confound or mediate associations between IQ and attempted suicide. However, the attenuation was modest and these factors are unlikely to account completely for the observed associations.

Dann machen sie sich auf die Suche nach Erklärungsmustern, wie der niedrige IQ direkt als Ursache für die höhere Suizidgefährdung gesehen werden könnte:

  • Niedriger IQ bedeutet Schwierigkeiten beim Probleme lösen => höhere Verzweiflung bei Lebenskrisen
  • Niedriger verbaler IQ bedeutet, sich schlechter über seine Probleme unterhalten können => höhere Wahrscheinlichkeit, seinen Schwierigkeiten non-verbal Ausdruck zu verleihen, z.B. durch Selbstverletzung

Dann kommt ein weiterer, etwas komplexerer sozialer Faktor ins Spiel, nämlich frühkindliche Gewalterfahrung. Frühkindlich Gewalterfahrung, sowohl als Opfer als auch als Zeuge, korreliert sowohl mit niedrigem IQ als auch mit hoher Suizidgefährdung. Diesen Zusammenhang finden die Batty et al. zumindest weiter erforschenswert:

Although speculative, these relations may contribute to associations between IQ and attempted suicide, and the hypothesis may be worthy of further investigation.

Und jetzt wird’s richtig spannend: Kurz vor Schluss beschreiben die Forscher ein weiteres Ergebnis, dass sie vor ein Rätsel stellt, nämlich, dass sich die beobachtete Korrelation zwischen IQ und Suizidgefährdung nicht bei allen Gruppen der Stichprobe gleich stark ausmachen lässt. Bei einer Gruppe, deren Suizidgefahr ohnehin zu den höchsten gehört, nämlich den Personen, die an einer Psychose erkrankt sind, ist der Effekt tatsächlich umgekehrt. Die Psychotiker mit höherem IQ sind gefährdeter als Psychotiker mit niedrigem IQ.
Das ist wie erwähnt für Batty und sein Team rätselhaft. Sie können es sich nur durch die relativ geringe Fallzahl an Psychotikern, die sie zur Verfügung hatten, erklären, oder durch die Tatsache, dass der Effekt den die Psychose auf die Suizidgefahr hat, so stark ist, dass der Effekt des IQ in Relation dazu insignifikant und damit nicht mehr präzise messbar wird.

Dabei ist es alles doch relativ einfach:
Da wurden keine Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge gemessen, sondern Korrelationen.
Kurz zur Erläuterung: Wenn zwei Dinge korrelieren, heißt das, dass sie häufig zusammen auftreten. Mehr aber auch nicht. Es korrelieren auch Geburtenrate und Storchenpopulation, der Anstieg des Barometers korreliert mit schönem Wetter. Aber kein Mensch kommt auf die Idee, daraus Vermutungen über Ursache und Wirkung abzuleiten. Weil wir es besser wissen. Wissen wir aber nicht so viel, wie im Fall der Ursachen von Suizidgefährdung, denken wir in solche Korrelationen sehr leicht Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge hinein, die einen dann auch gerne mal vor Rätsel stellen, wie im “Sonderfall” der Psychotiker.

Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass der IQ-Test nicht wirklich etwas misst, das mit Intelligenz zu tun hat, bleibt von den Erkenntnissen von Batty und seinem Team nicht wirklich etwas über.

Ein Gedanke zu „Der alte Korrelationen-Blues: IQ und Suizidgefährdung

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