Asperger – Die nächste Evolutionsstufe?

Über einen meiner News Alerts bin ich auf folgenden TED-Talk von Juan Enriquez aufmerksam geworden: “Will our kids be a different species?

Ein sehr unterhaltsamer und empfehlenswerter Vortrag, auch wenn ich durchaus einiges an Kritik habe. Enriquez stellt hier mehrere steile Thesen auf und vermischt sie relativ diffus miteinander.

An einer Stelle stellt er die Frage auf, ob “Conditions” wie das Asperger-Syndrom evtl. Teil des evolutionären Drifts sein könnten und diskutiert verschiedene Ansätze, wie dies zu begründen sei. Besonders unterhaltsam finde ich hier den “Sexy Geek”-Effekt. 🙂

Alles hochspekulativ, aber dessen ist er sich bewusse. Deutlich wird dies z.B., als er über die stark ansteigenden Fallzahlen von Asperger eingeht (er sagt “autism” ich vermute aber, dass er nur Asperger meint):

But when you see an increase of that order of magnitude in a condition, either you’re not measuring it right or there’s something going on very quickly, and it may be evolution in real time.

Wie gesagt, inhaltlich ist das alles ziemlich fraglich und geht ziemlich steil. Was ich aber bemerkenswert finde, ist dass es das erste mal ist, dass ich einen Vertreter der Naturwissenschaften (insb. der Biologie), der nicht Teil des behindertenpädagogischen Diskurses ist, über Phänomene wie Autismus, ADHS o.ä. als etwas anderes als ein Defizit und medizinisches Problem sprechen höre, sondern als Ausdruck der Vielfalt der Spezies Mensch (die obendrein einen Fortschritt darstellen könnte).

Gut, dass der Diversity-Gedanke beginnt, auch in die Diskurse der Naturwissenschaften vorzudringen.

Der alte Korrelationen-Blues: IQ und Suizidgefährdung

Als ich den Titel dieses Artikels bei Brainmysteries las, klingelte bei mir sofort die Biologismus-Alarmglocke: Link identified between lower IQ scores and attempted suicide in men. Zu Deutsch sinngemäß: “Verbindung zwischen niedrigem IQ und Suizidversuchen bei Männern festgestellt.”

Nur kurz zur Erläuterung der Biologismus-Alarmglocke: Was dem Politiker und dem “Ich schreib viel aber ich denk wenig”-Journalisten der “billige Populismus” ist dem Behindertenpädagogen der Biologismus.

Da Brainmysteries gerne mal reißerisch und verkürzt berichtet, hab ich mir die zur Studie gehörende Veröffentlichung im British Medical Journal herausgesucht.
Worum geht’s?:
Bei einer Kohortenstudie wurden in Schweden von einem Team von Wissenschaftlern (Mediziner, Statistiker und ein Psychologe) angeführt von G David Batty, die medizinischen Daten von über einer Million Männern gesichtet, bei denen im jungen Erwachsenenalter der IQ gemessen wurde. Da hierfür bei einer so großen Stichprobe verschiedene IQ-Testverfahren verwendet wurden, standardisierten die Forscher die Ergebnisse dieser verschiedenen Messungen und wiesen so den Personen Punkte auf einer Skala von 1-9 zu. Je niedriger die Zahl, desto niedriger der IQ.

Was sie schlussendlich herausgefunden haben:
Ein niedriger IQ korreliert mit einer hohen Suizidgefährdung.

So ganz plump biologistisch waren die Batty und sein Team dann aber doch nicht. Sie haben sich nämlich erstmal auf die Suche nach unterschiedlichen Erklärungsmöglichkeiten für die Korrelation gemacht.

Zwei gänzlich undbiologistische, weil soziale Möglichkeiten sind ihnen eingefallen:

  • Niedriger IQ korreliert auch mit niedrigem Einkommen und niedrigem sozialen Status. Vielleicht treffen die Personen mit niedrigem IQ in ihrem Leben auf mehr Widrigkeiten und existenzielle Bedrohungen, die sie zur Verzweiflung treiben
  • Niedriger IQ korreliert auch mit hohem Alkoholkonsum, welcher wiederum verschiedentlich unabhängig von dieser Studie als Ursache für suizidale Tendenzen ausgemacht wurde

Sie gestehen diesen beiden Faktoren auch eine gewisse Rolle beim herbeiführen von Suizidversuchen zu, glauben aber, dass noch mehr Faktoren eine Rolle spielen müssen:

In our analyses, adjustment for socioeconomic status, smoking, and risky alcohol use led to small degrees of attenuation, suggesting that these factors may partially confound or mediate associations between IQ and attempted suicide. However, the attenuation was modest and these factors are unlikely to account completely for the observed associations.

Dann machen sie sich auf die Suche nach Erklärungsmustern, wie der niedrige IQ direkt als Ursache für die höhere Suizidgefährdung gesehen werden könnte:
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Sprache und Erinnerung

Ich bin ja immer auf der Suche nach weiteren Erkenntnissen und Ergebnissen zur Rolle von Worten als Denkwerkzeugen.

Auf der Seite von Psychological Science, einer amerikanischen psychologischen Fachzeitschrift fand ich gestern eine News-Meldung, die diesbezüglich meine Aufmerksamkeit erregte: What I Was Doing vs. What I Did: How Verb Aspect Influences Memory and Behavior.

Die Autoren haben ein spannendes Experiment durchgeführt zur Frage, wie die Art und Weise, wie wir eine Aufgabe sprachlich beschreiben, unsere Erinnerung an das Ereignis beeinflussen.

In dem Experiment wurden Probanden mit der Lösung sogenannter “Word-Puzzles” beauftragt. Nach Bearbeitung der Aufgaben wurden einige Probanden aufgefordert, die gerade durchgeführte Tätigkeit zu beschreiben und dabei die englische Zeitform imperfective zu verwenden: “I was solving word puzzles.” Also eine Formulierung, bei der der Fokus auf den Prozess gelegt wird, die beschriebene Handlung nicht unbedingt als abgeschlossen angesehen wird.

Andere Probanden wurden aufgefordert, das selbe in der Zeitform perfective: “I solved word puzzles.” Also eine Formulierung, bei der die beschriebene Handlung als abgeschlossen betrachtet wird.

Anschließend wurden die Probanden mit Gedächtnisaufgaben zu Ihren Word-Puzzles betraut oder mit der Lösung ähnlicher Word-Puzzles beauftragt. Diejenigen Probanden, die das imperfective verwendet hatten brachten bei beiden Aufgaben deutlich bessere Leistungen.

Die Autoren schließen daraus, dass die sprachliche Formulierung, die zur Beschreibung der Aufgabe verwendet wird, die Art und Weise, wie die Erinnerung an die Aufgabe “abgespeichert” wird beeinflusst.

Also in meinen Worten kurz zusammengefasst: Wenn sprachlich eine Formulierung verwendet wird, die den Verlauf eines Ereignisses in den Vordergrund stellt, wird auch die Erinnerung an das Ereignis verlaufsorientiert sein. Wenn jedoch eine Formulierung verwendet wird, die das Ergebnis eines Ereignis in den Vordergrund stellt, wird auch die Erinnerung an das Ereignis ergebnisorientiert sein.

Der Artikel wird in Psychological Science zwar erst noch veröffentlicht werden, aber auf der Website der Forschungsgruppe einer der AutorInnen findet sich der wissenschaftliche Artikel als PDF-Download.

Meines Erachtens ist er einen näheren Blick wert, auch wenn ich als Behindertenpädagoge bestimmt wieder andere Schlussfolgerungen ziehe, als die AutorInnen.

Bevorzugt das Gehirn bestimmte Satzstrukturen?

Gibt es grammatikalische Strukturen, die unserem Gehirn mehr liegen als andere? Forscher der University of Chicago, genauer die Autoren des Aufsatzes “The Natural Order of Events: How Speakers of Different Languages Represent Events Nonverbally” glauben, Hinweise darauf gefunden zu haben.

Ihre Untersuchung:

  • 10 Personen, deren Muttersprache Englisch ist
  • 10 Personen, deren Muttersprache Mandarin-Chinesisch ist
  • 10 Personen, deren Muttersprache Spanisch ist
  • 10 Personen, deren Muttersprache Türkisch ist

Diesen 40 Personen wurden kurze Videosequenzen einfacher Tätigkeiten vorgeführt (z.B. eine Frau dreht einen Türknopf) vorgeführt.
Danach wurden sie gebeten, den Inhalt dieser Videosequenzen

  • erst sprachlich wiederzugeben
  • und dann nur mit Gesten.

Bei der sprachlichen Wiedergabe folgten die Versuchspersonen den grammatikalischen Regeln ihrer Sprache. Die Sprecher des Englischen, Mandarin und Spanischen formten Sätze in der Reihenfolge

Subjekt – Verb – Objekt (SVO-Form),

also zum Beispiel: “Frau – dreht – Türknopf“. In dieser Form würde der Satz auch in der deutschen Sprache gebildet werden.
Die Sprecher des Türkischen bildeten den Satz in der Form:

Subjekt – Objekt – Verb (SOV-Form),

also z.B. “Frau – Türknopf – dreht“.

Bei der non-verbalen Wiedergabe wendeten alle Sprecher eine Form unabhängig von der eigenen Sprache an. Nämlich die SOV-Form.

Daraus schließen die Autoren des Artikels, Weiterlesen

Wie behindernde Bedingungen entstehen

Ein schönes Beispiel dafür, wie behindernde Bedingungen entstehen, liefert uns die Bundesregierung: den ePass 2. Wem der Begriff so gar nichts sagt, der kann sich diese Video-Botschaft von Wolfgang Schäuble anschauen.

Wolfgang Schäuble und die Fingerabdrücke

Es geht um die elektronisch gespeicherten Fingerabdrücke. Herr Schäuble erklärt worum es geht:

“Der Vorteil von Fingerabdrücken ist, dass sie so einzigartig sind wie der Mensch selbst und dass sie maschinell geprüft werden können. Bei der Beantragung des Passes müssen die beiden Zeigefinger nur ganz kurz auf einen elektronischen Scanner gelegt werden, um die Fingerabdrücke zu erfassen. Bei einer biometrieunterstützten Kontrolle – z.B. am Flughafen – geht es ähnlich schnell: der vor Ort aufgenommene Fingerabdruck kann mit dem Abdruck im Chip verglichen werden.”

Mal von allen politischen Bedenken (insbesondere gegenüber der Glaubwürdigkeit der Behauptung, die gespeicherten biometrischen Daten würden nach der Speicherung auf dem Chip gelöscht und nicht an zentraler Stelle gespeichert) abgesehen, sind soziale Bedenken bei der Einführung des elektronischen Passes der zweiten Generation.

Die Aussage von Herrn Schäuble, dass Fingerabdrücke “maschinell geprüft werden können” ist nämlich nicht für alle Menschen korrekt. Der CCC Deutschland wies in einem Beitrag vom 16. Oktober darauf hin, “dass weit über 10% der Senioren damit rechnen müssen, keine erfassbaren Fingerabdrücke zu haben. […] Neben den Senioren werden auch intensiv mit den Händen arbeitende Menschen mit derartigen Benachteiligungen zu kämpfen haben.” Dazu kommen noch Menschen, die mit Hautkrankheiten oder allergischen Reaktionen zu kämpfen haben, und deren Fingerabdruck je nach akuter Situation der Haut auf den Fingerkuppen schwankt. Von Menschen, denen es schlicht und einfach an Händen fehlt, einmal ganz zu schweigen.

Diese Menschen erwartet, um es mit den Worten des CCC auszudrücken, “unweigerlich eine Diskriminierung durch verschärfte Kontrollen und lange Wartezeiten.”

Hier wird also eine biologische Abweichung von der Mehrheit in soziale Benachteiligung verwandelt.

Wer diesen letzten Gedanken nicht so ganz nachvollziehen konnte, dem lege ich die Lektüre des zweiten Kapitels meiner Diplomarbeit ans Herz. Und die gibt es hier.

P.S.: Auf die Videobotschaft Herrn Schäubles wurde ich übrigens durch netzpolitik.org aufmerksam.

Kühlaggregat für das Gehirn?

Eine vierköpfige Gruppe japanischer Wissenschaftler hat bei der WIPO einen Patentantrag für einen “brain-cooling apparatus to be buried in skull” (zu deutsch in etwa: Kühlungsapparatur, die in den Schädel eingepflanzt werden soll) eingereicht.

Das Problem, dass mit dieser Erfindung gelöst werden soll, stellt sich im “Abstract” des Antrages sinngemäß etwa folgendermaßen dar: Bei aussergewöhnlichen Erregungszuständen zerebraler Nervenzellen ( z.B. bei einem epileptischen Anfall) steigt die Temperatur der betroffenen Hirnregion an.
Die beschriebene Apparatur, soll nun das betreffende Areal kühlen. Die Apparatur besteht aus einem Kühler (in Form einer Metallplatte oder eines Drahtes), der in den Schädel eingepflanzt wird, einem Wärmerohr sowie einem Radiator. Das eine Ende des Wärmerohrs wird mit dem Kühler verbunden, das andere mit dem Radiator, der offenbar an der Schädeloberfläche befestigt werden soll.

Welche Wirkung sich die vier Antragssteller von dieser Kühlung versprechen, ist dem Abstract leider nicht zu entnehmen. Der vollständige Patentantrag selbst, mit den einzelnen Claims liegt leider nur auf japanisch vor, dass ich nicht beherrsche. Die Vermutung liegt jedoch nahe, dass Weiterlesen

GUI-Design via EEG-Analyse? Microsoft und die Hirnwellen

Anscheinend hat Microsoft für den Nachfolger von Vista einiges vor. Jedenfalls haben sie in den Staaten jetzt einen Patentantrag eingereicht, bei dem es um ein Verfahren geht, Hirnstrommessungen (EEG) auszuwerten, die bei der Bedienung von Computern vorgenommen wurden. Mit den ausgewerteten Daten will Microsoft in Zukunft wohl die Interaktion mit Computern optimieren.

Wie das Invention Blog von New Scientist berichtet, versucht die Redmonder Software-Schmiede wohl, damit das Problem zu umgehen, dass man schlecht über sich selbst und seine Arbeitsweise Auskunft geben kann, während man konzentriert mit genau dieser Arbeitsweise mit einem Computer interagiert.

Mal davon abgesehen, dass ich Ideenpatente wie dieses ablehne, hier noch ein Tip an Microsoft:

Wenn Sie eine möglichst den Bedürfnissen des Users angepasstes User-Interface entwickeln wollen, entwickeln Sie ein möglichst modulares Interface, bei dem der User selbst bestimmen kann, wie er mit dem Computer interagieren möchte. Vielfalt und Flexibilität sind die Zauberwörter. Falls Sie ein paar Ideen brauchen: http://www.freedesktop.org