Ein sehr unterhaltsamer und empfehlenswerter Vortrag, auch wenn ich durchaus einiges an Kritik habe. Enriquez stellt hier mehrere steile Thesen auf und vermischt sie relativ diffus miteinander.
An einer Stelle stellt er die Frage auf, ob “Conditions” wie das Asperger-Syndrom evtl. Teil des evolutionären Drifts sein könnten und diskutiert verschiedene Ansätze, wie dies zu begründen sei. Besonders unterhaltsam finde ich hier den “Sexy Geek”-Effekt. 🙂
Alles hochspekulativ, aber dessen ist er sich bewusse. Deutlich wird dies z.B., als er über die stark ansteigenden Fallzahlen von Asperger eingeht (er sagt “autism” ich vermute aber, dass er nur Asperger meint):
But when you see an increase of that order of magnitude in a condition, either you’re not measuring it right or there’s something going on very quickly, and it may be evolution in real time.
Wie gesagt, inhaltlich ist das alles ziemlich fraglich und geht ziemlich steil. Was ich aber bemerkenswert finde, ist dass es das erste mal ist, dass ich einen Vertreter der Naturwissenschaften (insb. der Biologie), der nicht Teil des behindertenpädagogischen Diskurses ist, über Phänomene wie Autismus, ADHS o.ä. als etwas anderes als ein Defizit und medizinisches Problem sprechen höre, sondern als Ausdruck der Vielfalt der Spezies Mensch (die obendrein einen Fortschritt darstellen könnte).
Gut, dass der Diversity-Gedanke beginnt, auch in die Diskurse der Naturwissenschaften vorzudringen.
Bin über die Lebenshilfe darauf gestoßen, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) im Oktober 2010 neue Empfehlungen zur Förderung von Integrationsprojekten nach §§ 132 ff. SGB IX veröffentlicht hat. Weil das wahrscheinlich für viele wie böhmische Dörfer klingt, geht es nun ein wenig im Sendung mit der Maus-Stil weiter:
Was sind Integrationsprojekte nach §132 SGB IX?
Bei Integrationsprojekten nach diesen Paragraphen handelt es sich im wesentlichen um Integrationsbetriebe. Wem das nichts sagt, bzw. wer sich fragt, was der Unterschied zur WfbM ist, sei hier noch einmal kurz der entsprechende Abschnitt aus dem SGB IX zitiert (Hervorhebung von mir). Integrationsbetriebe dienen
zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, deren Teilhabe an einer sonstigen Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Grund von Art oder Schwere der Behinderung oder wegen sonstiger Umstände voraussichtlich trotz Ausschöpfens aller Fördermöglichkeiten und des Einsatzes von Integrationsfachdiensten auf besondere Schwierigkeiten stößt.
Das klingt erst einmal widersinnig. Überspitzt formuliert sollen da Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Der Knackpunkt und der wesentliche Unterschied zur WfbM ist der Status als Arbeitnehmer in einem regulären/tariflichen/sozialversicherungspflichtigen (pick 1-3) Beschäftigung, während Beschäftigte in der WfbM ein “arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis” mit ihrer Werkstatt haben. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass ein Integrationsbetrieb nicht der Werkstättenverordnung unterliegt und daher bestimmte Regelungen wie Personalschlüssel etc. nicht für sie gelten.
Ansonsten halten sich die Unterschiede in Grenzen. In Integrationsbetrieben arbeiten teilweise gFABs als Gruppenleiter wie in Werkstätten, die angebotenen Arbeiten findet man auch in vielen Werkstätten wieder und der Personenkreis der in Integrationsbetrieben arbeitet ähnelt den leistungsstarken Werkstattbeschäftigten sehr.
Und was ist die BIH?
Die BIH ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter, also ein Gremium, in dem sich Behörden die meist auf kommunaler oder Kreisebene organisiert sind, bundesweit koordinieren. Eine Bundesarbeitsgemeinschaft halt…
Soweit so gut. Und was hat die BIH nun für Empfehlungen zu Integrationsbetrieben gesagt? Jede Menge. Ich picke mir hier aber nur einen Punkt heraus. Es geht um ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze in Integrationsbetrieben. Da geht es also um Beschäftigte, die einen Werkstattplatz haben, also eben das oben erwähnte arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis und eine Kostenzusage für all die Leistungen, die man in einer WfbM nun mal erhält (d.h. berufliche Bildung. Unter dem Strich: Personalressourcen der Fachkräfte). Ausgelagerter Werkstattarbeitsplatz bedeutet: Die Person ist formal Werkstattbeschäftigter, arbeitet aber nicht in der Werkstatt sondern auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz bei einer Firma, Einrichtung, Behörde o.ä. Die Werkstatt bleibt weiterhin für die Anleitung und berufliche Bildung des Beschäftigten zuständig. Es ist quasi ein ambulantes Modell des Werkstattarbeitsplatzes.
Zum für und wieder von ausgelagerten Werkstattarbeitsplätzen (ich meine hier Einzelarbeitsplätze nicht ausgelagerte Arbeitsgruppen) kann man eine Menge sagen und schreiben, was ich an dieser Stelle unterlassen möchte.
Ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze in Integrationsbetrieben sind aber zunächst einmal konzeptionell nicht stimmig. Schließlich spannt sich der Unterschied zwischen Integrationsbetrieb und WfbM genau um den Status des Beschäftigten herum auf. Und zu sagen “Integrationsbetrieb: ja, aber Status als Arbeitnehmer: nein” ist damit widersinnig.
Praktisch haben sie ihre Berechtigung als Übergangs- und Erprobungslösungen, wo dem Beschäftigten die Rückkehr in die WfbM offen gehalten werden soll. Aber wenn sich die Tätigkeit des Beschäftigten an diesem Platz und in diesem Betrieb bewährt haben, gibt es keinen vertretbaren Grund mehr, die Maßnahmeform Werkstatt weiter zu betreiben.
Einen unvertretbaren Grund gibt es natürlich schon: Geld. Für den Integrationsbetrieb ist ein ausgelagerter (eigentlich müsste es hier “hereinverlagerter” heißen) Wfbm-Beschäftigter wirtschaftlich viel attraktiver als ein Angestellter. Bei Nicht-Integrationsbetrieben ist diese Argumentation ärgerlich, aber in aktueller politischer und Gesetzeslage muss man sie akzeptieren. Aber bei Integrationsbetrieben, die auf Gelder von Behörden hofft, darf es nicht der Grund sein.
Und im Prinzip sagt die BIH genau dass, wenn Sie auf Seite 3 festlegt, dass ausgelagerte Arbeitsplätze nur noch “innerhalb eines absehbaren Zeitraums möglich” sein soll. Eine konkrete Bezifferung dieses Absehbaren Zeitraumes bleibt aus. Die Vorsitzende des BIH legt diese in einer Rede mündlich nach: 2 Jahre.
Denn: Wenn ein behinderter Mensch aus der WfbM zwei Jahre in einem Unternehmen eine Maschine bedient, dann kann er dies auch innerhalb eines regulären Arbeitsverhältnisses tun. Alles andere konterkariert echte Beschäftigungsverhältnisse.
Am 13.01.2011 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Sachstandsbericht zur Evaluation arbeitsmarktpolitischer Instrumente veröffentlicht. CDU, CSU und FDP hatten 2009 im Koalitionsvertrag (Link: PDF) vereinbart, dass alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente (ABM, “Arbeitsgelegenheiten” und dergleichen) evaluiert werden, so das BMAS. Es bezieht sich dabei vermutlich auf folgenden Absatz des Koalitionsvertrages (S.22):
Aufgabenkritik der Bundesagentur für Arbeit
[…] Die Aufgaben und Strukturen der BA sind einer Aufgabenkritik zu unterziehen, um eine möglichst effiziente Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger zu erzielen.
Grundsätzlich gilt, dass finanzielle Mittel und das Personal der jeweiligen Aufgabe folgen.
Bei der Gestaltung dieser effizienten Dienstleistung hat die Regierung hier also die Absicht, das tun der Bundesagentur für Arbeit zu evaluieren, um finanzielle und personelle Ressourcen innerhalb der BA da hin zu verteilen, wo am meisten Wirkung erzielt wird. Mal davon abgesehen, dass man diesen Satz auch schlicht als “Wir geben kein zusätzliches Geld für Arbeitsmarktpolitik aus.” interpretieren kann, interessiert mich natürlich, wie die Leistungen zur Eingliederung ins Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung bei diesem Prozess abschneiden.
Kurz gesagt: Gar nicht.
Sie tauchen nämlich in dem Sachstandbericht nicht wirklich auf. Nur an einer Stelle, nämlich da, wo uns mitgeteilt wird, dass man sie nicht mitgezählt hat (S. 17):
Nicht diskutiert werden etwa der Eingliederungszuschuss für besonders betroffene schwer behinderte Menschen, sowie Sonderregelungen für behinderte Personen.
Man kann nur spekulieren, was das bzgl. der Ressourcenverteilung für diese Maßnahmen bedeutet. Im besten Fall könnte man sagen: “Was nicht evaluiert wird, steht nicht auf dem Prüfstand. Hier wird also weder Geld hinzugefügt, noch weggenommen.”, Im schlechtesten Fall: “Das wurde nicht evaluiert, weil es ohnehin in der Prioritätenliste ganz weit unten steht.” Eine dritte, m.E. aber recht unwahrscheinliche Erklärung wäre noch, dass die Gelder, die im Bereich Eingliederung ins Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung fließen, im Vergleich zu anderen Bereichen so klein sind, dass sie nicht interessieren. Zwar bezahlt die BA die Grundsicherung nach SGB II, dass die meisten Menschen mit Behinderung, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind, empfangen, aber die Maßnahmen für diesen Personenkreis trägt die BA nur anteilig.
Nimmt man sich die Maßnahmeform WfbM als Beispiel, so trägt die BA hier in der Regel nur die Maßnahmen im Berufsbildungsbereich. Im Arbeitsbereich werden die Maßnahmen in der Regel vom Sozialhilfeträger bezahlt.
Egal welche dieser drei Möglichkeiten es ist, fest steht, dass bei einer umfassenden Aufgabenkritik der BA jene Aufgaben, die sich auf Menschen mit Behinderung beziehen, nicht interessant zu sein scheinen.
Ich sammle gerade Daten zum Bildungssystem und zum System der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung in Finnland. Da ich des finnischen nicht mächtig bin (Überraschung!) arbeite ich mit den englisch-sprachigen Veröffentlichung der dortigen Behörden.
Auf der Suche nach einer angemessenen Übersetzung für den Begriff “National Board of Education” war ich zunächst unschlüssig. Ein “board” kenne ich als Aufsichtsrat, muss also eine Art Gremium sein. Aber “Nationaler Bildungsaufsichtsrat” oder “Nationales Bildungsgremium” sind dann ja doch eher ungeeignet. Und einfach “Bildungsrat” zu nehmen, schmeckt mir auch nicht, denn das wäre ja eher ein “council”. Als ich dann in deutsch-sprachigen Texten, die mir vorlagen auch noch die Übersetzungen “Nationale Bildungsbehörde” und “Zentralamt für Unterrichtswesen” gelesen habe, wurde es mir dann zu bunt.
Also flugs gegooglet für Inspiration. Und da bin ich gleich beim ersten Suchergebnis auf einen Dienst namens “Linguee” gestoßen, der das Web nach Seiten durchsucht, die den gesuchten Begriff enthalten und von denen obendrein Übersetzungen in andere Sprachen vorliegen.
Da kriegt man also einen Überblick, wie andere das gleiche Übersetzungsproblem gelöst haben, also eine Art Folksonomy von Übersetzungen.
Momentan werden folgende Sprachen unterstützt (wenn auch noch nicht alle untereinander und auch nicht immer in beiden Richtungen):
Deutsch
Englisch
Spanisch
Französisch
Portugiesisch
Ich find’s einen praktischen und sinnvollen Dienst. Denn auf der Suche nach Inspiration für diese Übersetzung hätte ich ja auch nichts anderes gemacht, als mir anzuschauen, wie andere dies übersetzt haben und den Kontext zu überfliegen. Genau dies aggregiert (<- gibt’s das als deutsches Wort?) Linguee auf einer Seite.
Das Ergebnis meiner Suche sieht dann so aus: link .
In den Ergebnissen ist leider auch viel Murks dabei. Ein Beispiel kommt offensichtlich aus einem automatischen Übersetzer: Hier wird die Phrase “by a national or state board of education” mit “von einem Staatsangehörigen oder von einem Zustandsbrett der Ausbildung” übersetzt.
Schon allein dafür hat sich das ganze gelohnt 🙂 .An dieser amüsanten Geschichte sieht man auch, warum so eine Folksonomy eine gute Idee ist. Übersetzungen sind eine der Aufgaben, die Computer immer noch nicht wirklich hinbekommen. Hier also lieber die Lösungen von Menschen zusammenzufassen und darzustellen, macht ergibt einfach Sinn.
Und so bin ich dann auch direkt fündig geworden und habe mich für “Nationalen Bildungsausschuss” entschieden.
Ich muss echt regelmäßiger auch meine englisch-sprachigen Quellen sichten. Dann wäre mir nicht entgangen, dass im Februar 2010, Robert G. Marshall ein US-Abgeordneter aus dem House of Delegates des Staates Virginia wahrlich mittelalterliche Thesen verkündet hat:
The number of children who are born subsequent to a first abortion with handicaps has increased dramatically. Why? Because when you abort the first born of any, nature takes its vengeance on the subsequent children.
Übersetzung des Zitats:
Die Anzahl behinderter Kinder, die Müttern geboren werden, die ihr erstes Kind abgetrieben haben, ist dramatisch angestiegen. Warum? Wenn man das Erstgeborene von egal wem abtreibt, dann nimmt die Natur Rache an den nachfolgenden Kindern.
Jetzt könnte man ja denken, dass der Mann womöglich glaubt, es gebe tatsächlich ernstzunehmende Daten, die einen medizinischen Zusammenhang zwischen Abtreibung des ersten Kindes und der Behinderung weiterer Kinder nahelegen und diesem Glauben sehr unglücklich Ausdruck verliehen hat.
Aber nein, er weiß auch genau, warum das alles so ist. Seine Erklärung steht in der Bibel:
Der Herr sprach zu Mose: Erkläre alle Erstgeburt als mir geheiligt! Alles, was bei den Israeliten den Mutterschoß durchbricht, bei Mensch und Vieh, gehört mir. (Exodus 13:1-2)
Er erklärt:
In the Old Testament, the first born of every being, animal and man, was dedicated to the Lord. There’s a special punishment Christians would suggest.
Übersetzung des Zitats:
Im Alten Testament wurde das Erstgeborene eines jeden Wesens, ob Tier oder Mensch, dem Herrn geweiht. Wir haben es hier also mit einer besonderen Bestrafung zu tun, würden wir Christen sagen.
Also unter dem Strich: Behinderte Kinder sind Gottes Strafe für Abtreiberinnen (<- Na klar werden hier nur die Frauen bestraft, oder?), die dem Herrn das ihm zustehende Erstgeborene vorenthalten.
Wer es nicht glauben mag, hier gibt’s das Zitat auch zu hören: (Was danach in der Sendung kommt, ist auch ganz spannend. Geht aber nicht um Abtreibung oder Behinderung, sondern um Diskriminierung von Homosexuellen in Virginia)
Davon abgesehen hat seine Logik auch noch in sich ein Loch. Wenn es Gottes Strafe ist, wieso verzeichnen wir dann jetzt angeblich einen dramatischen Anstieg von Geburtsdefekten, die auf eine Abtreibung folgen? Fand Gott es früher nicht so tragisch und hat es sich jetzt anders überlegt?
Inzwischen hat Mr. Marshall (der in manchen US-Blogs inzwischen Sideshow-Bob genannt wird [1] [2]) sich für seine Äußerungen entschuldigt sein Bedauern dafür zum Ausdruck gebracht, dass seine Worte missverstanden wurden.
Diese Sorte Nicht-Entschuldigung gehört ja für viele Politiker zum normalen Sprachgebrauch. Es kommt aber auch eine klare Aussage hinterher:
I don’t believe that disabled kids are God’s punishments, period, end of discussion.
Übersetzung des Zitats:
Ich glaube nicht, dass behinderte Kinder Gottes Strafe sind. Punkt. Ende der Diskussion.
Hört sich soweit gut an. Auf die Frage des Interviewers, was er denn dann sagen wollte, sagt Marshall, dass er lediglich auf den medizinischen Zusammenhang zwischen Abtreibung und bestimmten angeborenen Defekten hinweisen wollte und zitiert dabei verschiedene medizinische Fachzeitschriften.
Und schiebt dann noch ein Schmankerl hinterher:
This is nature. It’s the same thing if you’re talking about getting drunk. If God made nature, and made alcohol with certain characteristics, He’s not to blame for me getting drunk and getting in a car and killing someone, […]. This is the order of nature. You do these things, you pay consequences. That’s not controversial.
Übersetzung des Zitats:
Das ist einfach die Natur. Es ist das gleiche Prinzip, wie wenn wir über das Saufen reden. Wenn Gott die Natur gemacht hat und Alkohol mit bestimmten Eigenschaften ausgestattet hat, dann ist ER nicht schuld, wenn ich mich besaufe, ein Auto besteige und jemanden totfahre. Das ist die Ordnung der Natur. Wenn man diese Dinge tut, dann muss man die Konsequenzen tragen. Das ist doch unstrittig.
Wie soll man das verstehen, Mr. Marshall? Gott straft nicht aktiv im Moment der Geburt des zweitgeborenen Kindes, aber er richtet die Natur so ein, dass man schon die Konsequenzen trägt, wenn man ihm das ihm zustehende Erstgeborene enthält? Für mich hört sich das weiterhin sehr nach Strafe an.
Als ich den Titel dieses Artikels bei Brainmysteries las, klingelte bei mir sofort die Biologismus-Alarmglocke: Link identified between lower IQ scores and attempted suicide in men. Zu Deutsch sinngemäß: “Verbindung zwischen niedrigem IQ und Suizidversuchen bei Männern festgestellt.”
Nur kurz zur Erläuterung der Biologismus-Alarmglocke: Was dem Politiker und dem “Ich schreib viel aber ich denk wenig”-Journalisten der “billige Populismus” ist dem Behindertenpädagogen der Biologismus.
Da Brainmysteries gerne mal reißerisch und verkürzt berichtet, hab ich mir die zur Studie gehörende Veröffentlichung im British Medical Journal herausgesucht. Worum geht’s?:
Bei einer Kohortenstudie wurden in Schweden von einem Team von Wissenschaftlern (Mediziner, Statistiker und ein Psychologe) angeführt von G David Batty, die medizinischen Daten von über einer Million Männern gesichtet, bei denen im jungen Erwachsenenalter der IQ gemessen wurde. Da hierfür bei einer so großen Stichprobe verschiedene IQ-Testverfahren verwendet wurden, standardisierten die Forscher die Ergebnisse dieser verschiedenen Messungen und wiesen so den Personen Punkte auf einer Skala von 1-9 zu. Je niedriger die Zahl, desto niedriger der IQ.
Was sie schlussendlich herausgefunden haben:
Ein niedriger IQ korreliert mit einer hohen Suizidgefährdung.
So ganz plump biologistisch waren die Batty und sein Team dann aber doch nicht. Sie haben sich nämlich erstmal auf die Suche nach unterschiedlichen Erklärungsmöglichkeiten für die Korrelation gemacht.
Zwei gänzlich undbiologistische, weil soziale Möglichkeiten sind ihnen eingefallen:
Niedriger IQ korreliert auch mit niedrigem Einkommen und niedrigem sozialen Status. Vielleicht treffen die Personen mit niedrigem IQ in ihrem Leben auf mehr Widrigkeiten und existenzielle Bedrohungen, die sie zur Verzweiflung treiben
Niedriger IQ korreliert auch mit hohem Alkoholkonsum, welcher wiederum verschiedentlich unabhängig von dieser Studie als Ursache für suizidale Tendenzen ausgemacht wurde
Sie gestehen diesen beiden Faktoren auch eine gewisse Rolle beim herbeiführen von Suizidversuchen zu, glauben aber, dass noch mehr Faktoren eine Rolle spielen müssen:
In our analyses, adjustment for socioeconomic status, smoking, and risky alcohol use led to small degrees of attenuation, suggesting that these factors may partially confound or mediate associations between IQ and attempted suicide. However, the attenuation was modest and these factors are unlikely to account completely for the observed associations.
Dann machen sie sich auf die Suche nach Erklärungsmustern, wie der niedrige IQ direkt als Ursache für die höhere Suizidgefährdung gesehen werden könnte: Weiterlesen →
Am 19.05. kam auf der Seite der EU-Kommission eine Nachrichtenmeldung mit dem Titel “People with disabilities – fighting poverty and social isolation” heraus, in der eine kurze Bestandsaufnahme der EU zur Situation behinderter Menschen formuliert wird und ein Ausblick auf die Strategie der EU-Kommission auf die behinderten-politische Ausrichtung für die Jahr 2010-2020 gegeben wird. Hierbei geht es vor allem um die Umsetzung der UN-Konvention.
Diese Strategie wird im Rahmen der nächsten Fassung des DAP, des “Disability Action Plan” veröffentlicht werden, von dem auch im Text die Rede ist. Der DAP 2010-2020 wird im Herbst erwartet.
Der Text liegt leider nur auf Englisch vor, daher habe ich mal kurzerhand eine “Quick and dirty”-Übersetzung angefertigt. Falls jemandem sinnverfälschende Fehler auffallen, immer her mit den Korrekturen!
Hier also meine Übersetzung des Textes:
Menschen mit Behinderung – Kampf gegen Armut und soziale Isolation
Menschen mit Behinderungen sind häufiger arbeitslos oder leben von geringen Einkommen als ihre nicht behinderten Entsprechungen. Des weiteren haben sie es schwerer, Zugang zu Waren und Dienstleistungen zu erhalten, die die meisten Menschen für selbstverständlich halten. All dies bedeutet, das für behinderte Menschen ein signifikant hohes Risiko für Armut und soziale Isolation besteht.
Einer der effektivsten Wege, Armut zu entgehen, ist es, Arbeit zu finden und zu behalten. Unglücklicherweise stellt für viele Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben eine Herausforderung dar.
Bildung wird auch als der zentrale Ausweg aus Armut angesehen. Aber auch hier stellen Menschen mit Behinderung fest, dass Ihre Chancen schlecht stehen. Sie erreichen nur halb so häufig einen Bildungsabschluss dritten Grades als nicht behinderte EU-Bürger.
Selbst behinderte Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss arbeiten seltener in hochqualifizierten Berufen als ihre nicht behinderten Entsprechungen.
Unglücklicherweise ist für Menschen mit Behinderung die Gefahr sozialer Isolation genau so groß wie die Gefahr ökonomischer Marginalisierung. Zum Beispiel hat eine von zwei behinderten Personen noch nie an Freizeit- oder Sportaktivitäten teilgenommen.
Ein Drittel der behinderten Bevölkerung Europas ist noch nie ins Ausland gereist oder hat auch nur einen Tagesausflug unternommen, wegen Problemen, die durch unzugängliches Gelände oder durch erschwerten Zugang zu Diensten und Dienstleistungen verursacht sind.
Selbst das Pflegen sozialer Kontakte ist eine Herausforderung, da behinderte Menschen im Vergleich zu nicht behinderten Menschen seltener ihre Freunde und Familie regelmäßig sehen.
Handeln
Schätzungen zufolge gibt es ca. 65 Millionen behinderte Menschen in der EU. Was sollte also getan werden, um ihnen zu helfen, sich gegen das Zwillingsgespenst von Armut und sozialer Exklusion zu erwehren?
Die EU hat behinderten Menschen mit dem “Disability Action Plan (DAP)” 2004-2010 geholfen, Gleichheit und Inklusion zu erreichen.
Das Ziel war, sicherzustellen, dass behinderte Menschen eine vollständige Rolle in der Gesellschaft zu den selben Bedingungen wie andere spielen können, sowie ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Der DAP wurde daher dafür verwendet, um Beschäftigungs- und Bildungsaussichten von Menschen mit Behinderung zu verbessern und ihren Zugang zu Waren und Dienstleistungen anzukurbeln.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat neue Broschüren zum Trägerübergreifenen Persönlichem Budget veröffentlicht. Diese können kostenlos bestellt, aber auch als PDF heruntergeladen werden:
Leider steht in beiden nichts wirklich konkretes drin. Es bleibt bei einer groben Beschreibung und wohin man sich wenden muss, wenn man Interesse hat. Soweit so sparsam.
Die Möglichkeit das persönliche Budget für Assistenz-Dienstleistungen im Arbeitsleben zu nutzen, wird nicht einmal erwähnt. Schade.
Ein jugendlicher unter Bedingungen von Trisomie 21 sollte vom Land Hessen aus Kostengründen am Besuch einer integrativen Regelschule gehindert und zum Besuch einer Sonderschule gezwungen werden.