Wie behindernde Bedingungen entstehen

Ein schönes Beispiel dafür, wie behindernde Bedingungen entstehen, liefert uns die Bundesregierung: den ePass 2. Wem der Begriff so gar nichts sagt, der kann sich diese Video-Botschaft von Wolfgang Schäuble anschauen.

Wolfgang Schäuble und die Fingerabdrücke

Es geht um die elektronisch gespeicherten Fingerabdrücke. Herr Schäuble erklärt worum es geht:

“Der Vorteil von Fingerabdrücken ist, dass sie so einzigartig sind wie der Mensch selbst und dass sie maschinell geprüft werden können. Bei der Beantragung des Passes müssen die beiden Zeigefinger nur ganz kurz auf einen elektronischen Scanner gelegt werden, um die Fingerabdrücke zu erfassen. Bei einer biometrieunterstützten Kontrolle – z.B. am Flughafen – geht es ähnlich schnell: der vor Ort aufgenommene Fingerabdruck kann mit dem Abdruck im Chip verglichen werden.”

Mal von allen politischen Bedenken (insbesondere gegenüber der Glaubwürdigkeit der Behauptung, die gespeicherten biometrischen Daten würden nach der Speicherung auf dem Chip gelöscht und nicht an zentraler Stelle gespeichert) abgesehen, sind soziale Bedenken bei der Einführung des elektronischen Passes der zweiten Generation.

Die Aussage von Herrn Schäuble, dass Fingerabdrücke “maschinell geprüft werden können” ist nämlich nicht für alle Menschen korrekt. Der CCC Deutschland wies in einem Beitrag vom 16. Oktober darauf hin, “dass weit über 10% der Senioren damit rechnen müssen, keine erfassbaren Fingerabdrücke zu haben. […] Neben den Senioren werden auch intensiv mit den Händen arbeitende Menschen mit derartigen Benachteiligungen zu kämpfen haben.” Dazu kommen noch Menschen, die mit Hautkrankheiten oder allergischen Reaktionen zu kämpfen haben, und deren Fingerabdruck je nach akuter Situation der Haut auf den Fingerkuppen schwankt. Von Menschen, denen es schlicht und einfach an Händen fehlt, einmal ganz zu schweigen.

Diese Menschen erwartet, um es mit den Worten des CCC auszudrücken, “unweigerlich eine Diskriminierung durch verschärfte Kontrollen und lange Wartezeiten.”

Hier wird also eine biologische Abweichung von der Mehrheit in soziale Benachteiligung verwandelt.

Wer diesen letzten Gedanken nicht so ganz nachvollziehen konnte, dem lege ich die Lektüre des zweiten Kapitels meiner Diplomarbeit ans Herz. Und die gibt es hier.

P.S.: Auf die Videobotschaft Herrn Schäubles wurde ich übrigens durch netzpolitik.org aufmerksam.

Dem Steinbrück ihm sein Tacheles

Bisher war ja in der Oberetage der SPD Franz Müntefering derjenige, der sich ab und zu mal in der Öffentlichkeit verplapperte. Am schönsten bei einer Pressekonferenz am 19. August 2006 an der Seite von Frau Merkel:

“Wir werden als Koalition von allen Seiten an dem gemessen, was in Wahlkämpfen gesagt worden ist. Das ist unfair, weil es zwischendurch ein Ereignis gegeben hat, nämlich die Bundestagswahl und die daraus entstandene Koalition.”

Jetzt hat sicher Peer Steinbrück hat sich gesagt: Das kann ich auch! Und deshalb hat er bei Hart aber fair (WebTV) alle Spekulationen, dass es sich beim “Streit” zwischen Kurt Beck und Franz Müntefering nur um ein “Profilierungsinstrument“, “parteitaktische[s] Manöver” oder gar um einen “Fake” handle, ein Ende gemacht, indem er Ihnen recht gab:

“Sie können der SPD nicht abverlangen, einen Kurs weiterzuverfolgen, der sie in den Umfragen fast auf eine Marge zurückwirft, wo wir Mühe haben, in der Politik überhaupt noch vorzukommen.” (zitiert nach tagesschau.de)

Geht zwar kaum noch klarer, aber ich betätige mich doch so gern als Übersetzer:

Klar wollen wir weiter neoliberale Politik gegen unsere Wähler machen, aber Sie können doch nicht von uns verlangen, dies so konsequent und offensichtlich zu tun, dass die uns nicht mehr wählen!

P.S.: Das Wort Tacheles kommt übrigens vom jiddischen tachles was Zweck oder zweckmäßiges Handeln bedeutet. Ob Steinbrücks Aussage tatsächlich zweckmäßig war, kommt darauf an, wer sie gehört hat. Wenn sie von den neuen Verfechtern der Agenda 2010 wie Dieter Hundt gehört wird, sicherlich. Wenn sie von potentiellen SPD-Wählern gehört wird… weiß ich nicht.

Der Taxifahrer aus dem Parallel-Universum

Kennt Ihr Science-Fiction-Geschichten mit Parallelwelten? Wo alles fast ist wie in unserer Welt, die selben Personen vor allem, aber es ist doch alles anders? Die Guten sind böse und umgekehrt?

Der Taxifahrer, mit dem ich gerade unterwegs war, muss aus so einem Parallel-Universum stammen. In seiner Welt kann man nämlich auf einer Fahrt von der Hamburger Innenstadt nach Hamburg-Hamm die politische Lage in Deutschland etwa so zusammenfassen:

  • Jetzt mit der Angela geht wenigstens was.
  • Außerdem hat uns der Eichel 49 Milliarden Euro Schulden hinterlassen, während die Merkel alleine 2006 schon 17 MilliardenEuro€ Gewinn gemacht hat!
  • In der letzten Umfrage auf’m Videotext hatte die Linkspartei 47% !!
  • Wenn die Linkspartei drankommt, dann gute Nacht! Da kann ich mit meinem dänischen Nachnamen aber die Koffer packen! Wenn die das wieder genauso machen wollen wie ’33, lande ich glatt im KZ!
  • Manche heutige Politiker haben auch einfach so die Lager gewechselt! Der Weizsäcker war zum Beispiel früher in der SED! Ich habe eine Zeitung von 1948, da steht drin, dass der 1948 Obersturmbandführer bei der SS war. Und er ist nicht der einzige.
  • So da wären wir. Macht 13 fuffzich, schönen Abend noch.

Bahn – Deutsch, Deutsch – Bahn oder El Belegschaft unido jamás será vencido

Vor ein paar Tagen habe ich mir noch Gedanken darüber gemacht, ob die Bahn nicht neuen Logik-Konzepten experimentiert. Ich glaube, ich habe der Bahn da unrecht getan. Die sprechen einfach eine andere Sprache als wir. Das wurde mir klar, als ich diese Meldung auf tagesschau.de gelesen habe. Da sagt Frau Suckale:

“Wenn wir jetzt nachgeben, dann werden sich bald auch andere Berufsgruppen aus dem Sozialverbund Bahn lösen und die Belegschaft spalten”

Das heißt auf deutsch:

Wenn wir jetzt nachgeben, dann werden sich bald auch andere Berufsgruppen aus ihrer Letargie lösen und die Belegschaft wird sich vereinigen.

Ich verstehe noch nicht alles, was die Bahn so sagt, aber ich arbeite dran. Unsere Vokabelliste umfasst jetzt also:

  1. spalten = sich (solidarisch) vereinigen, zusammenschließen
  2. Sozialverbund Bahn = Ruhe geben

Ich bin ja Pädagoge, habe also einen Bildungsauftrag, daher:
Hausaufgabe

Ergänzen Sie die Vokabelliste um die Begriffe “Tarifeinheit” und “Standortnachteil” anhand der folgenden zwei Zitate (beide von Frau Suckale, zitiert nach der selben Meldung):

“Was wir jetzt erleben, bestätigt uns in unserer Überzeugung, dass wir nur bei Tarifeinheit als erfolgreiches Unternehmen bestehen können.”

“Wenn wir einmal zulassen, dass eine kleine Minderheit mit unverhältnismäßigen Mitteln überhöhte Forderungen durchsetzt und die Tarifeinheit sprengt, werden wir einen enormen Standortnachteil bekommen.”

A, wenn nicht A – Die Bahn und die Logik

In der klassischen Logik funktioniert der Satz “A, wenn nicht A” nicht. Er würde nämlich bedeuten, dass ein bestimmter Sachverhalt A gegeben ist, wenn er nicht Gegeben ist. Und das klappt ja nun aus offensichtlichen Gründen nicht.

Außer bei der Bahn. Die können das. Die können sagen:

Ja, liebe GDL, ihr bekommt einen eigenständigen Tarifvertrag, dieser muss sich aber “konflikt- und widerspruchsfrei in das DB-Gesamttarifsystem” einpassen.

Heißt also soviel wie: Eigenständiger Tarifvertrag ja, aber nur wenn er nicht eigenständig ist.

Sinn ergibt diese Aussage nur, wenn man davon ausgeht, dass die Bahn die GDL falsch verstanden hat. Falls die Bahn dachte, dass die GDL den selben Vertrag wie TransNet und die anderen haben wollen, ihnen aber wichtig ist, dass oben “Speziell für die GDL” draufsteht. Aber so viel Unverstand mag ich der Bahn nicht unterstellen. Bleibt also nur, dass die Bahn mit neuer Logik experimentiert.

Das wirklich Verwunderliche daran ist, dass so viele Menschen diese Logik zu verstehen scheinen…

P.S.: Das Bild ist übrigens schamlos von tagesschau.de geklaut, äh, herverlinkt…

Erhaltene Beiträge aus der ersten Hirnbloggade 2:

Erinnert Ihr Euch noch an die Bundestagswahl 2005? Auch an die Elefantenrunde? Hach Kinners, das waren noch Zeiten!

Mein Kommentar damals:

==== Beginn des alten Textes vom 19.09.2005 ====

Wer hätte das gedacht, die Wahl ist (fast) vorbei und alle haben gewonnen!

  • Die CDU hat gewonnen, weil sie (ziemlich sicher) die stärkste Fraktion wird und weniger verloren hat als die SPD
  • Die SPD hat gewonnen, weil sie weniger verloren hat als erwartet
  • Die FDP hat gewonnen, weil sie fast zweistellig geworden ist
  • Die Grünen haben gewonnen, weil sie ihr Ergebnis fast gehalten haben
  • Die Linkspartei hat gewonnen, weil sie locker über die 5%-Hürde gehüpft ist und in Fraktionsstärke in den neuen Bundestag einzieht.

Aber wer hat dann verloren?

  • Die CDU, weil sie deutlich hinter ihren eigenen Erwartungen zurück geblieben ist?
  • Die SPD, weil sie die stärksten Verluste hinnehmen musste?
  • Die FDP, weil sie den angestrebten schwarz-gelben Regierungswechsel nicht hingekriegt hat und nun wahrscheinlich doch nicht regieren wird?
  • Die Grünen, weil… äh, ja warum eigentlich?… weil Rot-Grün abgewählt ist?
  • Die Linkspartei, weil sie es ohne die WASG nicht geschafft hätte und weil sie “Ostpartei” geblieben ist?

Ein wütendes CDU-Mitglied hat es wenige Minuten nach der Prognose im Interview mit der ARD auf den Punkt gebracht: “Die wahren Verlierer sind die Demoskopen!”

Tja, nur hilft das beim schmieden von Mehrheiten auch nicht. Jede einzelne rechnerisch mögliche Koalition wurde von mindestens einem der potentiellen Partner ausgeschlossen.

Ein “kompliziertes Wahlergebnis” sei das, sagt Frau Merkel.

Heute morgen sagte auf NDR Info eine namenlose FDP-Anhängerin, sie könne nicht verstehen, warum das Volk so unklug entschieden habe.

“Ich finde es bedauerlich, dass die Bevölkerung nicht verstanden hat, worum es geht” ,sagt Hamburgs Schulsenatorin Dinges-Dierig (CDU) (vgl. Artikel der Taz).

Das erinnert mich mal wieder an den guten alten Bertolt Brecht”: “Das Volk hat das Vertrauen der Regierung verscherzt. Wäre es da nicht doch einfacher, die Regierung löste das Volk auf und wählte ein anderes?”

Um das ein für alle mal klarzustellen: Nicht das Volk hat nicht verstanden, worum es geht, sondern die Politik.

Das Wahlergebnis ist sehr eindeutig, das Signal an die Politik ist nicht minder eindeutig. Dieses Wahlergebnis ist eine klare Absage an die Politik, die Schwarz-Gelb unter Kohl 16 Jahre lang gemacht hat und die von Rot-Grün 7 Jahre lang weiter geführt wurde: Die Politik nach dem Mantra “Schaffe den Unternehmen möglichst gewinnbringende Voraussetzungen, dann schaffen die Arbeitsplätze!”

Dass diese Politik nicht funktioniert, ist spätestens seit der Deutschen Bank und Ackermann klar. Die Unternehmen streichen die Steuergeschenke und sonstige Gewinne, die ihnen von der Politik beschert wurden, ein, schaffen aber trotzdem keine Arbeitsplätze.

Je mehr die CDU sich vom “sozialen” in der sozialen Marktwirtschaft verabschiedete, desto mehr verlor sie. Je mehr die SPD im Wahlkampf sich wieder der sozialen Idee zuwandte, desto mehr holte sie auf. Die hohen Gewinne der Linkspartei komplettieren diese Botschaft.

Liebe Politiker aller Lager, jenseits aller (un-)möglichen Bündnisse, machen Sie sich bitte mal Gedanken darüber, was Ihnen die Wähler mit diesem Wahlergebnis sagen wollen.

==== Ende des alten Textes ====

Hat übrigens keiner gemacht…