BIH: Ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze maximal 2 Jahre

Bin über die Lebenshilfe darauf gestoßen, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) im Oktober 2010 neue Empfehlungen zur Förderung von Integrationsprojekten nach §§ 132 ff. SGB IX veröffentlicht hat. Weil das wahrscheinlich für viele wie böhmische Dörfer klingt, geht es nun ein wenig im Sendung mit der Maus-Stil weiter:

Was sind Integrationsprojekte nach §132 SGB IX?
Bei Integrationsprojekten nach diesen Paragraphen handelt es sich im wesentlichen um Integrationsbetriebe. Wem das nichts sagt, bzw. wer sich fragt, was der Unterschied zur WfbM ist, sei hier noch einmal kurz der entsprechende Abschnitt aus dem SGB IX zitiert (Hervorhebung von mir). Integrationsbetriebe dienen

zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, deren Teilhabe an einer sonstigen Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auf Grund von Art oder Schwere der Behinderung oder wegen sonstiger Umstände voraussichtlich trotz Ausschöpfens aller Fördermöglichkeiten und des Einsatzes von Integrationsfachdiensten auf besondere Schwierigkeiten stößt.

Das klingt erst einmal widersinnig. Überspitzt formuliert sollen da Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt beschäftigt werden können. Der Knackpunkt und der wesentliche Unterschied zur WfbM ist der Status als Arbeitnehmer in einem regulären/tariflichen/sozialversicherungspflichtigen (pick 1-3) Beschäftigung, während Beschäftigte in der WfbM ein “arbeitnehmerähnliches Rechtsverhältnis” mit ihrer Werkstatt haben. Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass ein Integrationsbetrieb nicht der Werkstättenverordnung unterliegt und daher bestimmte Regelungen wie Personalschlüssel etc. nicht für sie gelten.
Ansonsten halten sich die Unterschiede in Grenzen. In Integrationsbetrieben arbeiten teilweise gFABs als Gruppenleiter wie in Werkstätten, die angebotenen Arbeiten findet man auch in vielen Werkstätten wieder und der Personenkreis der in Integrationsbetrieben arbeitet ähnelt den leistungsstarken Werkstattbeschäftigten sehr.

Und was ist die BIH?
Die BIH ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter, also ein Gremium, in dem sich Behörden die meist auf kommunaler oder Kreisebene organisiert sind, bundesweit koordinieren. Eine Bundesarbeitsgemeinschaft halt…

Soweit so gut. Und was hat die BIH nun für Empfehlungen zu Integrationsbetrieben gesagt?
Jede Menge. Ich picke mir hier aber nur einen Punkt heraus. Es geht um ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze in Integrationsbetrieben. Da geht es also um Beschäftigte, die einen Werkstattplatz haben, also eben das oben erwähnte arbeitnehmerähnliche Rechtsverhältnis und eine Kostenzusage für all die Leistungen, die man in einer WfbM nun mal erhält (d.h. berufliche Bildung. Unter dem Strich: Personalressourcen der Fachkräfte). Ausgelagerter Werkstattarbeitsplatz bedeutet: Die Person ist formal Werkstattbeschäftigter, arbeitet aber nicht in der Werkstatt sondern auf einem ausgelagerten Arbeitsplatz bei einer Firma, Einrichtung, Behörde o.ä. Die Werkstatt bleibt weiterhin für die Anleitung und berufliche Bildung des Beschäftigten zuständig. Es ist quasi ein ambulantes Modell des Werkstattarbeitsplatzes.
Zum für und wieder von ausgelagerten Werkstattarbeitsplätzen (ich meine hier Einzelarbeitsplätze nicht ausgelagerte Arbeitsgruppen) kann man eine Menge sagen und schreiben, was ich an dieser Stelle unterlassen möchte.
Ausgelagerte Werkstattarbeitsplätze in Integrationsbetrieben sind aber zunächst einmal konzeptionell nicht stimmig. Schließlich spannt sich der Unterschied zwischen Integrationsbetrieb und WfbM genau um den Status des Beschäftigten herum auf. Und zu sagen “Integrationsbetrieb: ja, aber Status als Arbeitnehmer: nein” ist damit widersinnig.
Praktisch haben sie ihre Berechtigung als Übergangs- und Erprobungslösungen, wo dem Beschäftigten die Rückkehr in die WfbM offen gehalten werden soll. Aber wenn sich die Tätigkeit des Beschäftigten an diesem Platz und in diesem Betrieb bewährt haben, gibt es keinen vertretbaren Grund mehr, die Maßnahmeform Werkstatt weiter zu betreiben.
Einen unvertretbaren Grund gibt es natürlich schon: Geld. Für den Integrationsbetrieb ist ein ausgelagerter (eigentlich müsste es hier “hereinverlagerter” heißen) Wfbm-Beschäftigter wirtschaftlich viel attraktiver als ein Angestellter. Bei Nicht-Integrationsbetrieben ist diese Argumentation ärgerlich, aber in aktueller politischer und Gesetzeslage muss man sie akzeptieren. Aber bei Integrationsbetrieben, die auf Gelder von Behörden hofft, darf es nicht der Grund sein.
Und im Prinzip sagt die BIH genau dass, wenn Sie auf Seite 3 festlegt, dass ausgelagerte Arbeitsplätze nur noch “innerhalb eines absehbaren Zeitraums möglich” sein soll. Eine konkrete Bezifferung dieses Absehbaren Zeitraumes bleibt aus. Die Vorsitzende des BIH legt diese in einer Rede mündlich nach: 2 Jahre.

Denn: Wenn ein behinderter Mensch aus der WfbM zwei Jahre in einem Unternehmen eine Maschine bedient, dann kann er dies auch innerhalb eines regulären Arbeitsverhältnisses tun. Alles andere konterkariert echte Beschäftigungsverhältnisse.


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Arbeitsmarkt: Menschen mit Behinderung nicht mitgezählt

Am 13.01.2011 hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales einen Sachstandsbericht zur Evaluation arbeitsmarktpolitischer Instrumente veröffentlicht. CDU, CSU und FDP hatten 2009 im Koalitionsvertrag (Link: PDF) vereinbart, dass alle arbeitsmarktpolitischen Instrumente (ABM, “Arbeitsgelegenheiten” und dergleichen) evaluiert werden, so das BMAS. Es bezieht sich dabei vermutlich auf folgenden Absatz des Koalitionsvertrages (S.22):

Aufgabenkritik der Bundesagentur für Arbeit

[…] Die Aufgaben und Strukturen der BA sind einer Aufgabenkritik zu unterziehen, um eine möglichst effiziente Dienstleistung für die Bürgerinnen und Bürger zu erzielen.
Grundsätzlich gilt, dass finanzielle Mittel und das Personal der jeweiligen Aufgabe folgen.

Bei der Gestaltung dieser effizienten Dienstleistung hat die Regierung hier also die Absicht, das tun der Bundesagentur für Arbeit zu evaluieren, um finanzielle und personelle Ressourcen innerhalb der BA da hin zu verteilen, wo am meisten Wirkung erzielt wird. Mal davon abgesehen, dass man diesen Satz auch schlicht als “Wir geben kein zusätzliches Geld für Arbeitsmarktpolitik aus.” interpretieren kann, interessiert mich natürlich, wie die Leistungen zur Eingliederung ins Arbeitsleben von Menschen mit Behinderung bei diesem Prozess abschneiden.

Kurz gesagt: Gar nicht.
Sie tauchen nämlich in dem Sachstandbericht nicht wirklich auf. Nur an einer Stelle, nämlich da, wo uns mitgeteilt wird, dass man sie nicht mitgezählt hat (S. 17):

Nicht diskutiert werden etwa der Eingliederungszuschuss für besonders betroffene schwer behinderte Menschen, sowie Sonderregelungen für behinderte Personen.

Man kann nur spekulieren, was das bzgl. der Ressourcenverteilung für diese Maßnahmen bedeutet. Im besten Fall könnte man sagen: “Was nicht evaluiert wird, steht nicht auf dem Prüfstand. Hier wird also weder Geld hinzugefügt, noch weggenommen.”, Im schlechtesten Fall: “Das wurde nicht evaluiert, weil es ohnehin in der Prioritätenliste ganz weit unten steht.” Eine dritte, m.E. aber recht unwahrscheinliche Erklärung wäre noch, dass die Gelder, die im Bereich Eingliederung ins Arbeitsleben für Menschen mit Behinderung fließen, im Vergleich zu anderen Bereichen so klein sind, dass sie nicht interessieren. Zwar bezahlt die BA die Grundsicherung nach SGB II, dass die meisten Menschen mit Behinderung, die nicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sind, empfangen, aber die Maßnahmen für diesen Personenkreis trägt die BA nur anteilig.
Nimmt man sich die Maßnahmeform WfbM als Beispiel, so trägt die BA hier in der Regel nur die Maßnahmen im Berufsbildungsbereich. Im Arbeitsbereich werden die Maßnahmen in der Regel vom Sozialhilfeträger bezahlt.

Egal welche dieser drei Möglichkeiten es ist, fest steht, dass bei einer umfassenden Aufgabenkritik der BA jene Aufgaben, die sich auf Menschen mit Behinderung beziehen, nicht interessant zu sein scheinen.

Ein kleiner Nachschlag noch:
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Menschen mit Behinderung – Kampf gegen Armut und soziale Isolation

Am 19.05. kam auf der Seite der EU-Kommission eine Nachrichtenmeldung mit dem Titel “People with disabilities – fighting poverty and social isolation” heraus, in der eine kurze Bestandsaufnahme der EU zur Situation behinderter Menschen formuliert wird und ein Ausblick auf die Strategie der EU-Kommission auf die behinderten-politische Ausrichtung für die Jahr 2010-2020 gegeben wird. Hierbei geht es vor allem um die Umsetzung der UN-Konvention.

Diese Strategie wird im Rahmen der nächsten Fassung des DAP, des “Disability Action Plan” veröffentlicht werden, von dem auch im Text die Rede ist. Der DAP 2010-2020 wird im Herbst erwartet.

Der Text liegt leider nur auf Englisch vor, daher habe ich mal kurzerhand eine “Quick and dirty”-Übersetzung angefertigt. Falls jemandem sinnverfälschende Fehler auffallen, immer her mit den Korrekturen!

Hier also meine Übersetzung des Textes:

Menschen mit Behinderung – Kampf gegen Armut und soziale Isolation

Menschen mit Behinderungen sind häufiger arbeitslos oder leben von geringen Einkommen als ihre nicht behinderten Entsprechungen. Des weiteren haben sie es schwerer, Zugang zu Waren und Dienstleistungen zu erhalten, die die meisten Menschen für selbstverständlich halten. All dies bedeutet, das für behinderte Menschen ein signifikant hohes Risiko für Armut und soziale Isolation besteht.

Einer der effektivsten Wege, Armut zu entgehen, ist es, Arbeit zu finden und zu behalten. Unglücklicherweise stellt für viele Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Arbeitsleben eine Herausforderung dar.

Ein Sechstel der europäischen Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ist als behindert klassifiziert, aber sie haben Schwierigkeiten bei der Jobsuche. Die Beschäftigungsrate für behinderte Menschen in der EU ist etwa 50% (gegenüber 68% für den Rest der Bevölkerung). Und nur 20 % der Menschen mit schweren Behinderungen haben am Arbeitsleben teil.

Leer ausgehen

Bildung wird auch als der zentrale Ausweg aus Armut angesehen. Aber auch hier stellen Menschen mit Behinderung fest, dass Ihre Chancen schlecht stehen. Sie erreichen nur halb so häufig einen Bildungsabschluss dritten Grades als nicht behinderte EU-Bürger.

Selbst behinderte Menschen mit einem höheren Bildungsabschluss arbeiten seltener in hochqualifizierten Berufen als ihre nicht behinderten Entsprechungen.

Unglücklicherweise ist für Menschen mit Behinderung die Gefahr sozialer Isolation genau so groß wie die Gefahr ökonomischer Marginalisierung. Zum Beispiel hat eine von zwei behinderten Personen noch nie an Freizeit- oder Sportaktivitäten teilgenommen.

Ein Drittel der behinderten Bevölkerung Europas ist noch nie ins Ausland gereist oder hat auch nur einen Tagesausflug unternommen, wegen Problemen, die durch unzugängliches Gelände oder durch erschwerten Zugang zu Diensten und Dienstleistungen verursacht sind.

Selbst das Pflegen sozialer Kontakte ist eine Herausforderung, da behinderte Menschen im Vergleich zu nicht behinderten Menschen seltener ihre Freunde und Familie regelmäßig sehen.

Handeln

Schätzungen zufolge gibt es ca. 65 Millionen behinderte Menschen in der EU. Was sollte also getan werden, um ihnen zu helfen, sich gegen das Zwillingsgespenst von Armut und sozialer Exklusion zu erwehren?

Die EU hat behinderten Menschen mit dem “Disability Action Plan (DAP)” 2004-2010 geholfen, Gleichheit und Inklusion zu erreichen.

Das Ziel war, sicherzustellen, dass behinderte Menschen eine vollständige Rolle in der Gesellschaft zu den selben Bedingungen wie andere spielen können, sowie ihre eigenen Entscheidungen treffen können. Der DAP wurde daher dafür verwendet, um Beschäftigungs- und Bildungsaussichten von Menschen mit Behinderung zu verbessern und ihren Zugang zu Waren und Dienstleistungen anzukurbeln.

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BMAS-Broschüren zum Persönlichen Budget

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat neue Broschüren zum Trägerübergreifenen Persönlichem Budget veröffentlicht. Diese können kostenlos bestellt, aber auch als PDF heruntergeladen werden:

Leider steht in beiden nichts wirklich konkretes drin. Es bleibt bei einer groben Beschreibung und wohin man sich wenden muss, wenn man Interesse hat. Soweit so sparsam.
Die Möglichkeit das persönliche Budget für Assistenz-Dienstleistungen im Arbeitsleben zu nutzen, wird nicht einmal erwähnt. Schade.